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Samstag, 13. Februar 2010

Die verpasste Chance der Helene Hegemann

Literatur ist für mich ein Netzwerk, das horizontale und vertikale Verbindungen aufweist. Die horizontalen Verbindungen sind die Referenzen, Ideen, Fragen, Ausdrücke und Zitate der gegenwärtigen Literatur in all ihrer Form, sei es Romane, Zeitungsartikel, Blogs, wissenschaftliche Abhandlungen oder Comics. Die vertikalen Verbindungen sind die Referenzen, Zitate, Bezüge, Umformungen früherer Literatur, Bücher der Vergangenheit, Klassiker, Kanon. Jedes Stück Literatur ist in dieses Netzwerk eingebettet, keines steht für sich allein. Literatur lebt von Vergleichen, Weiterentwicklungen, Neuformulierungen, vom Aufgreifen und Wiederverwenden – daneben natürlich auch vom Neuen, Anderen, Unerwarteten, das aber nur neu und unerwartet ist vor dem Hintergrund von etwas Bekanntem.

Hegemann und ihr Buch Axolotl Roadkill, das ich nicht gelesen habe, sind Gegenstand einer Diskussion,die sich in diesem Themenkreis bewegt. Ihr wird vorgeworfen, u.a. aus einem Buch und einem Blog des Bloggers Airen nahezu wörtlich zitiert zu haben und sie verteidigt sich damit, dass sie Angehörige einer Zeit ist, die das eben so macht, dass für sie„die Aufnahme von Bezügen aus Internetforen, Blogs, Liedtexten und Büchern künstlerisches Programm und kein Zeichen von eigener Ideenlosigkeit (ist)“ Und die Kritiker fangen nervös an zu hampeln. Was ist das jetzt schon wieder? Wie jetzt reagieren? Grundsätzlich ist es ja unmoralisch zu klauen. Aber andererseits, wenn die neue Generation des jetzt so macht? Wenn das innovativ ist? Sind wir jetzt alt und unflexibel? (so jedenfalls mein Eindruck) Und dann tauchen in dieser Diskussion immer zwei Komponenten auf: Frau Hegemann selbst und das Problem Urheberrecht/Originalität.

Frau Hegemann selbst ist 17, sie jung, gibt sich ein wenig unbedarft (jedenfalls bei Harald Schmidt, aber vielleich war das ja auch nur Masche, von wegen: das überfordert mich alles total, ich spiel mit meinen Haaren und ihr seid dann mal schön nett zu mir, ….) und so richtig traut sich keiner, ihr mal die Meinung zu sagen, was für mich ein Zeichen dafür ist, dass sie keiner für voll nimmt. Harald Schmidt hat sie gefragt, ob ihr Alter in den Diskussionen eine Rolle spielt, und natürlich tut es das. Sie sagt, darüber will sie gar nicht reden, aber gleichzeitig kann sie nicht leugnen, dass sie die hibbelige Attitüde einer Jugendlichen hat, die zum ersten Mal im Rampenlicht steht und es einerseits total genießt und andererseits das ungute Gefühl hat, dass das alles leicht nach hinten losgeht (das zumindest unterscheidet sie von den publicitygeilen Talkshowbesuchern, die dieses Gefühl noch nie hatten). Und selbst ein Harald Schmidt kann in dieser Situation nicht anders als ihr immer wieder zu versichern, dass sie ja so intelligent und eloquent sei, eiteitei, was hochnotpeinlich anzuschauen war. Ihre Jugend zeigt sich auch darin, dass sie anscheinend noch immer nicht begriffen hat, was da gerade mit ihr passiert; dass sie verheizt wird. Was sie gemacht hat, war völlig ok. Sie war kreativ, was viele Jugendlichen tun oder tun sollten, sie hat sich ausprobiert, sie hat gespielt. Sie hat sich mal so richtig ausgekotzt und vielleicht auch ihr Leben literarisch aufgepimpt. Das ist erlaubt und ok. Was nicht ok ist, sind die Erwachsenen, die ihr eingeredet haben oder sich von ihr haben überreden lassen, dass man dieses Ausprobierte veröffentlichen soll, nicht nur ohne irgendeine Prüfung, für die es vielleicht anfangs keinen Anlass gab, aber auch ohne Interesse, was dieses Buch (und vor allem der Inhalt) aus ihr machen wird. Für Verleger ist der Inhalt „heißer Scheiß“ und die Form „Jugendsprache“, und das kann man hervoragend vermarkten und was letztlich aus dem Autor wird, ist ihnen ziemlich egal. Frau Hegemann denkt wahrscheinlich, wenn sie erst mal den Fuß in der Tür hat, ist sie auch schon mitten im Literaturbetrieb, aber das hat bei Francoise Sagan auch nicht funktioniert. Manchmal hat man den Fuss eben in der falschen Tür.

Der andere Aspekt ist das Urheberrecht und Frau Hegemanns Äußerung, dass die Internetgeneration sich im Internet bedient. Das greift für mich ein wenig auf das Google-Settlement-Problem herüber, auf das MP3-Problem, auf die Grenzen von Öffentlichkeit im Internet. Und hier hat Frau Hegemann in meinen Augen eine riesige Chance verpasst, weil sie eben nur einen weiteren „coming of age“-Roman veröffentlicht hat, einer von vielen in der langen Reihe vom Fänger im Roggen bis zu Twelve. Jedes gute Buch hat mehrere Reflexionsebenen, und wenn Frau Hegemann schon auf eine Art Collagentechnik beim Schreiben zurückgreift und diese auch nur wenig verschleiert, hätte sie genau dieses Vorgehen zum (Meta-)Thema machen können. Sie hätte es offensiv angehen können, anstatt es unangesprochen zu lassen (und ins offene Messer zu laufen), sie hätte die Collage explizit zur Kunstform erheben, zu ihrem Markenzeichen oder auch zum Markenzeichen ihrer Generation machen können. Schriftsteller, die zu diesem Thema befragt wurden, sagen, es ist ok zu zitieren, wenn man das Zitat kenntlich macht. Aber grundsätzlich kann man auch über das Zitieren selbst reflektieren, über die Art und Weise wie man mit den Quellen umgeht, ob die Grenzen zwischen Quellen und dem eigenen Schreiben verschwinden dürfen oder ob sie es unwillkürlich tun, ob öffentlicher Zugriff auf etwas Geschriebenes auch bedeutet, dass man es als etwas Eigenes ausgeben darf, ob das was Frau Hegemann schreibt nun auch für andere als Versatzstücklager zur Verfügung steht, usw. - und diese Reflexionen literarisch explizit machen. Das wäre dann vielleicht ein Buch geworden, das nicht nur für die Sensations-Hype-Leser und Liebhaber von Kacke-Ficken-Kotze-Literatur interessant wäre.

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