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Miyuki Miyabe: All she was worth

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Tokyo Trilogie, die Zweite. Und wir gehen ein paar Jahre in der Zeit zurück. „Real World“ spielt in der Gegenwart, „All she was worth“ ist zeitlich angesiedelt im Japan der 90er Jahre.

Der Protagonist ist ein Polizist, Honma, der nach einer Schussverletzung für einige Zeit den Dienst quittiert. Er lebt mit seinem Sohn in einem Mietshaus am Rande Tokyos, seine Frau ist bei einem Autounfall gestorben. Befreundet ist er mit einem kinderlosen Ehepaar, der Ehemann, Isaka hilft ihm im Haushalt, kocht manchmal und ist der Hauptgesprächspartner Honmas. Honma schleppt sich mit seinem kaputten und schmerzende Knie durch den ereignislosen Alltag.

Der Besuch eines Neffen, den er lange nicht gesehen hat, durchbricht Honmas Routine. Der junge Ju, ein Banker aus guten Verhältnissen, vermisst seine Verlobte und bittet Honma, sie für ihn zu suchen. Honma stimmt nach einigem Zögern zu und beginnt den mageren Hinweisen nachzugehen. Die Geschichte taucht nun in die Gegenwart Japans in den 90ern ein, eine Zeit, die von Konsumrausch und Verschuldung gezeichnet ist, vom Willen zum eigenen Haus, von der Sucht nach Luxusartikeln, vom systematischen und gedankenlosen Leben über den eigenen Verhältnissen, das mit dem Überziehen der Kreditkarte beginnt und beim Kredithai endet. Der Ausweg aus der Schuldenspirale ist nicht selten Selbstmord, oder, nach der Kreditreform, die Privatinsolvenz.

Als Ju für seine Verlobte Shoko eine Kreditkarte beantragen möchte, erfährt er, dass auch sie den Weg der Privatinsolvenz gegangen ist, und vermutet seine Entdeckung als Auslöser für ihr Verschwinden. Aber Honma entdeckt Widersprüche bei seinen Ermittlungen und schnell kommt er dahinter, dass Ju´s Verlobte eine fremde Identität angenommen hat. Empört und verletzt zieht Ju den Auftrag zurück und nun macht Honma allein weiter, getrieben von dem Wunsch, das Schicksal der echten Shoko zu enthüllen und die Unbekannte, die deren Namen und Familienregister verwendet, zu finden.

Die Schilderung seiner Suche ist realistisch und die Ermittlungen Honmas sind weit davon entfernt, spektakulär zu sein. Honma schlägt sich mit den Tücken der Verwaltung und mit unfreundlichen Empfangsdamen herum. Die Fortschritte, die er macht, sind minimal, die Indizien, die er findet, sind Alltagsdinge.

Trotzdem ist das Buch spannend und diese Spannung speist sich aus dem Schürfen und Suchen Honmas, das den Fall vorantreibt, das überhaupt erst diesen Fall konstituiert. Ohne Honma gäbe es diesen Fall nicht, Shoko wird nicht vermisst und die Frau, die Ju´s Verlobte war, ist spurlos verschwunden. Honmas kleine und eher unscheinbare Erfolge werden vom Leser genüsslich miterlebt und er wird mit Honma zusammen in den Bann dieser Suche gezogen - und gleichzeitig in das Japan der 90er Jahre.

Während Honma sich unablässig und geduldig von Hinweis zu Hinweis hangelt, Kleinigkeiten nachgeht und Gespräche führt, taucht der Leser in den japanischen Alltag ein. Er lernt die Besonderheiten des japanischen Familienregisters kennen, bekommt Hintergrundinfos über das Kreditwesen in Japan, erfährt etwas über japanische Arbeitsverhältnsisse und bekommt Einblick in unterschiedliche soziale Schichten und Milieus. Und ihm wird bewusst, dass in der Millionenstadt Tokyo Menschen einfach so verschwinden können. Im Buch wird einmal erwähnt, dass der Einzelne früher nur im Verbund der Familie zählte, und auch in der japanischen Gegenwart scheint dies in einem weiter gefassten Sinn noch zu gelten. Ohne Angehörige, ohne enge Freunde, ist niemand da, der die Erinnerung an eine Person bewahrt.

Und so ist Honmas Handeln auch der Versuch, die Verschwundenen dem Vergessen zu entreißen, die wenigen Erinnerungen an sie zu finden, die Vergangenheit der Frauen ans Licht zu holen. Die Spuren dieses Falls liegen alle in der Vergangenheit, bei alten Freunden, Ex-Ehemännern, Arbeitskollegen. Und sie liegen in den Relationen zu Anderen, die immer bestehen, so einsam das Individuum auch ist, oder sein will. Honma selbst baut auf diesen Relationen auf, erneuert sie oder knüpft neue.

Das Individuum und seine Bindung an Andere, und die Veränderung dieser Bindung ist eines der wesentlichen Themen in diesem Buch. Die Veränderung betrifft vor allem die Struktur der Familie, auf die immer wieder zurück gekommen wird. Honmas Familie ist nach dem Tod seiner Frau zerbröckelt, aber in Isaka und seiner Frau findet er eine neue Art von Familie. Die verschwundenen Frauen hatten beide keine Familie mehr. Das Schicksal der echten Shoko ist in dem Moment besiegelt, in dem ihre letzte Angehörige stirbt, und die Unbekannte selbst ist getrieben vom Wunsch, die Bindung an die eigene Familie auszulöschen. So stellt sich das Moment Familie letztlich als Auslöser der gesamten Handlung heraus.

Alles in allem ist „All she was worth“ eine echte Empfehlung für Krimileser, die sich für Japan interessieren, oder auch für solche, die einen Blick in eine andere Gesellschaft werfen möchten. Und es macht Lust auf weitere Bücher von Miyuki Miyabe.
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