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Natsuo Kirino: Real World

realworld

Das Japan der Vorstädte ist ein kalter, unverständlicher Ort. Vielleicht ist die gesamte japanische Gesellschaft ein solcher Ort. Mit dem Krimi „Real World“ holt die Autorin Natsuo Kirino die Gedanken von vier japanischen High School Mädchen an die Oberfläche und präsentiert sie dem irritierten Leser, ohne ihm das Verhalten der Mädchen wirklich erklären zu können. Die Welt der Mädchen bleibt seltsam fremd und unwirklich, trotz oder gerade auch wegen der Klischees, die der Leser wieder erkennt – wobei das wirklich beunruhigende die dämmernde Erkenntnis ist, dass es sich hier vielleicht gar nicht um Klischees handelt, sondern um die Wirklichkeit – the real world. Und ich frage mich, ob das nur mir als nicht-japanischem Leser so geht.

Die vier Mädchen hängen in einem Netz von familiären Erwartungen und sozialen Rollen, arrangieren sich und kämpfen gleichzeitig dagegen an, während sie sich selbst in diesem engmaschigen Netz suchen. Und sie flüchten, in erfundene Identitäten, in gedankenloses Vergnügen oder in intellektuelle Arroganz. Sie suchen Kontakt zu einander, ohne zu echter Offenheit bereit zu sein, und fühlen sich dementsprechend unverstanden. Dieser Kern aus Verlorenheit und Einsamkeit reicht nicht aus, um ihnen Halt zu geben in dem immer undurchsichtiger werdenden Chaos, in dem sich Phantasie und Wirklichkeit zu einem gefährlichen Brei vermischen.

Vielleicht wäre das labile Mischmasch in ihren Persönlichkeiten ohne Auswirkungen geblieben und hätte sich irgendwann in ein langweiliges aber einigermaßen stabiles Leben aufgelöst, wären sie nicht mit dem Mord an einer Nachbarin Toshikos, einer der vier Freundinnen, konfrontiert worden. Vor allem werden sie mit dem Mörder konfrontiert, dem gleichaltrigen Sohn der Frau. Die Tat wirkt brutal und sinnlos und weckt die Sensationslust der japanischen Medien genauso wie die morbide Neugierde der japanischen Jugendlichen, die im Internet schnell eine Kultgemeinde bilden.

Mit einer Routinebefragung durch die Polizei beginnt sich die Spirale zu drehen. Toshiko verschweigt den Ermittlern, dass sie den Sohn, zu dem sie eigentlich bisher keinen Kontakt hat, und dem sie gedanklich den Spitznamen Worm gegeben hat, kurz nach der Tat gesehen hat, und dass er später ihr Fahrrad und ihr Handy geklaut hat. Sie hat keinerlei Motiv dazu, es scheint eine bloße Laune zu sein, eine Reaktion auf die überheblichen Polizisten, eine spontane pubertäre Verweigerungshaltung. Dann wird sie und ihre drei Freundinnen von Worm angerufen, weil sich ihre Nummern in Toshikos Handy befinden. Und plötzlich sind die vier Mädchen Komplizen, die einen aktiv, die anderen passiv, aber alle sind sie beteiligt und keine von ihnen findet unbeschadet aus der Sache heraus.

Worm ist ein Looser, der dem Druck der mütterlichen Erwartung und dem Konkurrenzkampf in der Schule nicht standgehalten hat. Er streift nach der Tat ziel- und planlos durch die Umgebung Tokios und flieht sich in eine Traumwelt voller Gewalt- und Freiheitsphantasien. Auch die Erwartungen der Mädchen, die auf ihn ihre eigenen Probleme projizieren, kann er nicht erfüllen, aber er ist auch nicht der eigentliche Protagonist der Story. Es ist als ob Worm durch diese eine Tat all sein Aktionspulver verschossen hat. Letztlich wird er zum Instrument degradiert, er ist der Fluchtpunkt, in dem sich die vier Mädchen treffen und sich trotzdem nie nah sind, über den sie zur Selbsterkenntnis kommen und in dessen Abgrund sie schließlich gezogen werden. Aber der Abgrund steckt tief in ihnen selbst, in der Verstrickung in unterschiedliche Rollen und / oder dem unidentifizierbaren Kern.

Aus fünf verschiedenen Perspektiven erzählt Kirino die Geschichte, lässt die vier Mädchen und Worm zu Wort kommen, lässt sie sprechen, schauspielern, sich in Szene setzen und resignieren. Jedes der vier Mädchen hat ein individuelles Problem, und jede geht anders damit um, als sie im Zusammenhang mit Worms Tat gezwungen werden, sich damit auseinander zu setzen. Die einzelnen Erzählperspektiven sind gleichzeitig Hinweis auf die Vereinzelung der Mädchen, die während des gesamten Buches fast ausschließlich telefonisch in Verbindung stehen und die wir nur aus gegenseitigen Schilderungen und Selbstreflexionen kennen lernen. Erst am Ende des Buches entsteht eine direkte Kommunikation zwischen Toshi und Yuzan und die plätschert an der Oberfläche und besiegelt die vergebenen Chancen.

Kirino erweckt nie den Eindruck das Schicksal von vier ungewöhnlichen Mädchen zu feiern. Ihre Sprache ist einfach und klar und ihr Darstellung macht deutlich, dass Toshiko und ihre Freundinnen den ganz normalen Durchschnitt der japanischen Jugend repräsentieren. Genau das ist das Beunruhigende an diesem Buch, denn es suggeriert, dass ziemlich viele japanische Jugendliche genau die gleichen Probleme haben und ähnliche Fluchtmöglichkeiten suchen, wie die vier Mädchen. Gewalt schreckt nicht ab, sondern fasziniert und das ist etwas, das die jungen Japaner sicher mit dem Rest der Welt teilen. Eine ungesunde Faszination.
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