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Freitag, 1. Mai 2009

Zugfahren am 30. April

ist keine gute Idee. Dort begegnet man all den Leuten, die fest entschlossen sind, in den ersten Mai zu taumeln und auch schon so einiges dazu beigetragen haben, dass sie garantiert nicht mehr gerade laufen können. Die Fahrt von Bonn nach Köln begann eigentlich recht amüsant. Eine gemischte Gruppe alternativ-angepasster, intellektuell ambitionierter und kulturell-toleranter Menschen hat sich im Zug darüber unterhalten, wie schön doch die Einsamkeit sei - eine Auffassung, die ich als distanz-soziales Wesen gut nachvollziehen kann, die mich jedoch überrascht, wenn sie aus dem Munde der jungen Bohemien kommt. Bis aus ihrer Diskussion deutlich wurde, dass alle bereits Kinder haben, was ihre Aussagen schlagartig in einem sehr verständlichen Licht erschienen ließ. Leider verstummten sie schlagartig, als eine weitere Gruppe sich an der nächsten Haltestelle in den bereits leicht überfüllten Zug drängte. Es waren besagte Feierwütige, die mit vielen Scherzen ihre offensichtlich gute Laune auf den gesamten Zug zu übertragen gedachten. Es begann damit, dass einer der nicht mehr ganz so jungen Männer laute Würggeräusche machte, was seine Stammesangehörigen sichtlich amüsierte, die Gruppe der jungen Intellektuellen jedoch veranlasste, verlegene Blicke zu tauschen. Neben mir war ein Platz frei, der von einem einsamen Rucksack belegt war, und ich versuchte, mich und den Rucksack durch mentale Kräfte unsichtbar zu machen, was nicht ganz gelang. Ein weiteres Mitglied der Gruppe musste offensichtlich ganz dringend einen Sitzplatz finden und artikulierte sich mühsam mit einem: wem gehört dieser Rucksack. Ich versuchte weiterhin die Unsichtbarkeitsnummer, während der Fahrgast, der dem Rucksack gegenüber saß, ihn als sein eigen auswies und bereitwillig an sich nahm. Der ziemlich angeschlagene Typ wandte sich nun an mich: lassen Sie mich da durch oder rutschen Sie eins weiter? Im Gedanken daran, dass ich mir einen Fluchtweg lassen sollte, murmelte ich, dass ich bald aussteigen muss und versuchte, meine Beine ein Stückchen zur Seite zu drehen, was schwierig ist, denn meine Beine sind sehr lang und der Platz zwischen den Sitzen sehr eng. Der Typ in Camouflagehosen und Kapuzenshirt quetschte sich irgendwie durch und ließ sich schweratmend fallen. Er atmete recht lange sehr schwer und ich begann mir ernsthaft Sorgen zu machen, dass er sich auf meine Tasche übergeben könnte. Er ließ jedoch seinen Kopf gegen die Fensterscheibe fallen und blieb bewegungslos so sitzen. Das Unglück nahm seinen Lauf, als die Dame mir gegenüber unbedingt bei der nächsten Station aussteigen musste. Ein Freund des Combattrouserträgers rief erfreut auf, ein Sitzplatz, unterbrach die Unterhaltung, die er einem ihm völlig Fremden aufgezwungen hatte und ließ sich mir gegenüber fallen. Meine Augen klebten auf den Vokabeln in meinem Japanischbuch. Ich kenne solche Typen und ich irre mich selten. Ich habe auch nichts gegen nette Unterhaltungen im Zug, auch nicht, wenn sie Freunde von Combattrouserträgern involvieren. Aber einseitiger Alkoholgenuss erschwert eine Unterhaltung doch sehr, weswegen ich gerne darauf verzichte. Wie erwartet, beugte sich der ebenfalls nicht mehr ganz so junge Mann in Jeansjacke interessiert über mein Buch, nachdem er mich einige Stunden lang intensiv angestarrt hatte. Ist das Chinesisch, fragte er freundlich. Nein, sagte ich, nicht besonders freundlich. Ist das Thailändisch, fragte er, noch immer freundlich. Nein, wiederholte ich, noch immer weniger freundlich. Um ihm die Mühe zu ersparen, weitere asiatische Sprachen aufs tableaux zu bringen, und velleicht auch, weil ich ungern unfreundlich erscheine, murmelte ich: Japanisch. Ein Fehler, wie sich sofort zeigte. Ah, Sayonara. Ist doch Japanisch, rief er hocherfreut. Ich schluckte und nickte ohne aufzusehen. Und Hai heißt ja, oder? Ich nickte wieder und wünschte mir sehnlichst die Ansage meiner Station. Na, dann kann ich doch schon alles, erklärte der Jeansträger zufrieden. Musst Du das auswendig lernen? Ich nickte enthusiastisch, noch immer ohne aufzusehen. Soll ich dich abhören? Schnell erklärte ich: nein, nicht nötig. Schade, murmelte der Jeansträger. Sein Combattrousertragender Freund rührte sich. Was ist mit mathematisch, lallte er. Der Jeansträger legte Stirnrunzeln in seine Stimme. Ich glaube nicht, dass das was mit Mathematik zu tun hat, erklärte er. Dann durfte ich endlich aufstehen. Der Jeansträger rief mir ein fröhliches Sayonara hinterher. Der Abend konnte nur noch besser werden.

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