ist ein Frankreich ohne Paris. Eher ein Frankreich der Vororte, wo die Straßen naß und grau sind, oder das ländliche Frankreich, mit dunkler Erde und kräftigen Bäumen. Das klingt kitschig, aber Chansons sind kitschig, jedenfalls ein bißchen. Chansons sind auch emotional, lebendig und haben diesen Hauch Nostalgie, der so schön französisch ist. Manchmal sind sie leicht und süß wie Schokokrossies, manchmal aber auch düster und morbide. Dominique Anés´ Chansons sind voller Leben, voller Passion, und irgendwie erdverbunden, eben anders als der Paris-Glamour der Biolay-Sachen (die ich natürlich auch gerne mag). Außerdem ist Anés ein Tüftler, der mit zwei Mikros und einem Feedbacksystem den ganzen Sound alleine bringt, was ziemlich faszinierend ist. Ein wirklich gutes Konzert, gestern, und es bestätigte mich in meiner These, daß man vom Chansons-Hören vielleicht ein besserer Mensch wird.
teildesganzen - 18. Mär, 14:15
Morgen hat mein Bruder Geburtstag. Er ist der beste Bruder der Welt – aber wahrscheinlich auch der schwierigste. Ich weiß nicht, was er denkt, ob er glücklich ist, ob er mit sich zufrieden ist oder sich verändern will, ob er weg will oder bleiben. Ich weiß noch nicht mal, mit wem er sich trifft und wohin er fährt, wenn er abends raus ist. Wenn ich seine praktische Hilfe brauche, kann ich immer auf ihn zählen. Er fährt den weiten Weg bis hierhin, um bei Umzügen zu helfen und wenn ich jetzt anrufen würde, wegen irgendeines Notfalls, und mein Freund ist nicht da und auch kein Anderer hier hin der Nähe, weiß ich, daß er kommen würde (falls er überhaupt zu hause wäre). Wenn ich andere Arten von Hilfe bräuchte, Ratschlag-Hilfe, keine Ahnung, was er dann tun würde. Ich habe es noch nie auspropiert und er leider auch nicht. Denn wenn er mich um meinen Rat fragen würde, wüßte ich wenigstens, was ihn beschäftigt. Aber man wendet sich nicht unbedingt an seinen Bruder, wenn man Probleme mit dem Freund hat, oder schlecht drauf ist, dafür sind Freundinnen da. Und mein Bruder wendet sich wahrscheinlich an niemanden. Er redet nicht über seine innere Welt. Über seine äußere Welt können wir stundenlang quatschen, über Fußball, über Musik und Filme, auch manchmal über seine Arbeit, aber nur was Formalia angeht, Tarifänderungen, Firmenstrukturänderungen, sowas. Sobald es ihn persönlich betrifft, ob er seine Arbeit mag; geht so, ist ok, Schulterzucken. Kommst du mit den Kollegen klar; warum nicht, ich will mir übrigens einen neuen PC kaufen. Ablenken und weiter im Text. Eigentlich bin ich davon überzeugt, daß es ihm nicht gut geht, daß er mit seiner Gesamtsituation nicht zufrieden ist. Und ich glaube, daß er zu oft allein ist, daß er sich zu sehr abschottet. Das Überraschende ist nur, daß sich das nicht negativ auf seinen Charakter auswirkt. Er ist kein ewig schlecht gelaunter Nörgeler, kein Misanthrop, kein Zyniker. Er kann sich trotzdem weiter für Sachen begeistern, er bleibt hilfsbereit und nett. Vielleicht denkt er nicht darüber nach. Vielleicht will er es vergessen und vielleicht will er deshalb auch nicht darüber reden.
teildesganzen - 13. Mär, 21:26
Ist es nicht sträflich, daß man sich wünscht, daß die Zeit vergeht? Daß man sich sogar wünscht, einen Zeitsprung machen zu können, von ca. 8 Stunden, bis zu dem Moment, wo ich endlich nach hause kann? Einfach ein paar Stunden auslöschen, die blasse Gefäße für Langeweile sind, für sinnloses Rumarbeiten und für Themen, mit denen man sich nicht beschäftigen will. Man sollte eigentlich um jede Sekunde froh sein, die man hat, aber eine Wert haben manche Zeiträume deswegen trotzdem nicht. Den Wert erhalten sie durch mich, klar, aber hier bin ich nicht in der Lage, ihnen Wert zu verleihen, weil ich zu beschäftigt bin, bzw. ständig von irgendwem beschäftigt werde. Ist schon ok, ich bekomme ja Geld dafür. Es ist eben ein soziales Arrangement. Im Grunde verkaufe ich meine Zeit. Der Verkauf der Zeit äußert sich darin, daß die Zeiträume im Nachhinein leer sind, still und farblos, ganz im Gegenteil zu meinen Zeiträumen, der Zeit, die ich behalten kann, die in orange und grün leuchtet, vollgestopft ist und wirbelt. Ein hoher Preis?
teildesganzen - 10. Mär, 17:03
Der liebevolle Umgang mit den innerdeutschen Eigenheiten, aus denen Konrad Beikirchner sein Zwei-Stunden-Programm zusammenbastelt, wäre etwas, was ich gerne auf meine Abteilung übertragen würde. Gestern haben wir uns mal wieder zu einer „Besser klarkommen und besser Zusammenarbeiten“Aktion zusammengerauft und uns oben genannten angesehen. Gekrankt hat die Sache natürlich schon daran, daß gar nicht alle mitgekommen sind, sondern nur diejenigen, die sowiso schon guten Willen zeigen oder einen Hang zum Ausgleichen haben. Aber vielleicht liegt das Betriebsklima, daß an eine giftige Schwefellandschaft auf einem, dem Untergang geweihten, Planeten erinnert, ja daran, daß wir nicht (wahrscheinlich noch nie) übereinander lachen können. Bei Beikirchner lachen wir über die regionalen Charakterauswüchse von Rheinländern, Süddeutschen und Westfalen und finden es amüsant, wenn sie muffelig, exzentrisch oder einfach bekloppt sind. Auf der Arbeit ist es irgendwie nie amüsant, stattdessen regt man sich allein oder miteinander übereinander auf. Liegt es an dem direkten Kontakt, zu dem wir auf der Arbeit gezwungen sind, und der es schwer macht, eine Distanz zu entwickeln, die auch mal erlaubt, Reibereien mit einem Grinsen und einem Schulterzucken zu überstehen?
Manchmal stelle ich mir vor, jeder würde eine Geschichte über sich in diesem Büro schreiben und vielleicht noch über die Person, die ihn am meisten nervt. Schon das Schreiben würde eine Distanz gewähren, und vor allem die Tatsache, daß man eben eine Geschichte schreibt, und kein Tagesablaufsprotokoll. Wahrscheinlich wäre schon der erste Satz aufschlußreich. Meine Kollegin B. würde z.B. schreiben: „Ich bin morgens die erste im Büro und stelle immer die Kaffeemaschine an. Macht ja sonst keiner.“ Meine Kollegin M: „Ich weiß morgens schon, daß ich meine Arbeit heute wieder nicht schaffe. Aber es weiß ja auch keiner, was ich alles zu tun habe, und es kümmert auch keinen.“ Mein Chef schreibt wahrscheinlich: „Wenn ich morgens die Tür aufmache, könnte ich mich schon das erste Mal übergeben, weil mir diese Welle von Abneigung entgegenschlägt und ich weiß, welches Chaos mich auch heute wieder erwartet.“ Und ich würde schreiben: „Das erste was ich denke, wenn ich morgens die Tür aufmache ist: ich will hier wieder raus, ich muß hier raus, wie soll ich es nur neun Stunden hier aushalten.“
Wenn ich es recht überlege, ist Schreiben vielleicht doch keine gute Idee, wenn es darum geht, auch mal übereinander lachen zu können. Wahrscheinlich würden wir uns eher heulend in den Armen liegen, weil wir so deprimiert sind. Aber das schafft ja auch ein Gemeinschaftsgefühl.
teildesganzen - 7. Mär, 18:31
Gestern ist das zweitägige Rocco-Klein-Festival zu Ende gegangen, das unter dem schönen Namen "Monsters of Rocco" firmierte. Eine gute Idee (die Einnahmen waren für die beiden Kinder von Herrn Klein) und bestens realisiert, mit befreundeten Bands wie den Sternen, Surrogat, Readymade, Sportfreunden, Tomte, Donots, und noch mehr (die alle auf Gagen verzichteten). Die Konzerte in der LMH, gestern, waren sehr schön, jedenfalls was ich so ab Readymade gesehen habe, und man war um eine Art Balance bemüht, zwischen Entertainment und dem traurigen Anlaß (Rocco Klein ist Anfang des Jahres an einer Hirnblutung verstorben). Klar, die meisten Leute waren erstmal wegen der Bands dar, caritative Motivation oder vielleicht sogar persönliche Erinnerungen an Herrn Klein düften eher eine (mehr oder weniger marginale) Begleiterscheinung gewesen ein. Trotzdem war der Anlass präsent, man wusste eben, aus welchem Grund das Konzert initiiert worden ist, und das war auch in Ordnung. Readymade haben für diesen Anlass Herrn Kleins Oasis-Lieblingslied gecovert, live forever, passt ja, die Sportfreunde versicherten, daß wir auf der guten Seite sind, und spielten irgendwie nicht lang genut, und dann Tomte schließlich. Guter Auftritt, sehr intensiv, viel besser als die CD, die ja auch nicht schlecht ist. Der ich-bin-vielleicht-ein-Verlierer-aber-egal-faktor ist bei Tomte sehr hoch, was aber nicht unbedingt negativ sein muß. Das Klischee wird aufgehoben durch eine Art Realitätsflimmern, so ein hier sein wollen aber doch nicht ganz da sein. Und es rockt trotzdem, und man kann BWL- oder Sowi-Studis beobachten, die bei Tomte total ausrasten. Tja, so was gibt es. Die Donots haben dann alle für den Heimweg wieder wachgemacht, ist aber generell nicht so mein Fall, war auch schon spät. Und beim Fahren hatte man noch die Tomte-Zeile im Ohr, die ein gutes Motto für das alles ist: "es ist nicht die Sonne, die untergeht, sondern die Erde, die sich weiterdreht."
teildesganzen - 3. Mär, 12:53