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Worum geht es eigentlich in der ganzen Diskussion um die Mohammed Karikaturen? Geht es um Meinungsfreiheit? Geht es um religiöse Gefühle?
Nicht in erster Linie. Das ganze entfaltet sich als ein Drama in drei Akten. Im ersten Akt erfolgt die billige populistische Provokation einer rechten dänischen Zeitung, die bereits im September begann und glücklicherweise erst gar nicht beachtet wurde, bis die „Jyllands-Posten” anscheinend selbst noch einmal auf diese Geschmacklosigkeiten aufmerksam machen musste, damit sie ihre Wirkung entfalten.
Wer greift solche dummen Provokationen auf? Wer lässt sich dazu herab, dieses Heischen um Aufmerksamkeit einer nationalkonservativen Zeitung überhaupt zu beachten? Die Mehrheit der gebildeten und normal-religiösen muslimischen Mitbürger in Europa haben sicher angewidert die Augen verdreht und sich einen Moment fürchterlich über die Ignoranz der Karikaturisten und der Zeitung, die sie veröffentlicht, geärgert, oft ging der Ärger wohl auch so weit, dass sie mit ihren Freunden und Arbeitskollegen darüber diskutiert haben. Aber vermutlich ist es ihnen nicht einmal in den Sinn gekommen, mit einer dänischen Flagge zu zündeln, geschweige denn eine Botschaft niederzubrennen.
Aufgegriffen – und zwar gerne - haben diese Provokation genau diejenigen, die auf muslimischer Seite ebenfalls gerne zu massentauglichen, simplen und provokativen verbalen Angriffen tendieren, denen es aber weniger um die Ehre Mohammeds geht sondern vielmehr um eigene politische Machtansprüche, um die militaristische Zersetzung der zivilen Gesellschaft, um wirtschaftliche Interessen und Vetternwirtschaft. Der zweite Akt ist der politische Teil und nicht der religiöse – Religion spielt hier lediglich die Rolle, die die Spannung aufbauen soll.
Angestoßen von einer Zeitung mit ausländerfeindlichen Tendenzen entsteht eine blanke Inszenierung durch politische Gruppen, die religiöse Gefühle instrumentalisieren um bestimmte Ziele durchzusetzen oder einfach nur Chaos zu verbreiten. Es tut weh mit anzusehen, wie die tiefgehende Religiosität von vielen Muslimen ausgenutzt und ausgebeutet wird um Interessen zu realisieren, die mit ihrer Religion nichts zu tun haben – aber es spricht auch nicht gerade für diese muslimischen Gruppen, dass sie dieses Spiel nicht durchschauen.
Das sie sich instrumentalisieren lassen, liegt nicht an ihrer religiösen Richtung – jeder Religion ist ein gewisser Fanatismus eigen. Der Grund ist noch nicht einmal die Religiosität allgemein – dass Menschen sich durch Demagogen manipulieren lassen und ihre individuelle Kritikfähigkeit hinten anstellen ist ein Phänomen, von dem gerade die deutsche Geschichte aufzeigt, dass es nichts mit einer Religion zu tun haben muss. Massenmanipulation geht allerdings sehr viel leichter, wenn man sich aus einer bereits vorhandene intersubjektiven Basis von Anschauungen und Emotionen bedienen kann.
Erst im dritten Akt erscheint die Reaktion des „Westens“ auf der Bühne, sieht sich um und erkennt, dass sie irgendwie tätig werden muss. Soll sie den Finger auf die offensichtliche politische Agitation legen? Diplomatisch nicht geschickt. Gibt der erste Akt etwas her, das man zur dramaturgischen Steigerung aufgreifen kann? Nicht mehr viel, das Modestatement der „Jyllands-Posten” ist mittlerweile durch aufgeladene Weltanschauung überlagert worden. Gut, denkt der Westen, auf Religion kann nur Philosophie antworten. Auftritt der Meinungsfreiheit, gefolgt von den übrigen „westlichen Werten“.
Gut, das ist nur halb so dämlich, wie es auf den ersten Blick scheint. Meinungsfreiheit ist ein wesentlicher Grundpfeiler einer demokratischen Gesellschaft. Punkt. Aber mit dieser Reaktion wird an einem Drama weiter geschrieben, das von Anfang an so schlecht war, dass es sofort in die Tonne gehört hat. Die Instrumentalisierung geht weiter und zwar nun auf der Seite des Westens. Auf einmal scheint unsere gesamte westliche Zivilisation in Gefahr. Es wird polarisiert und kontrastiert und damit nähert man sich langsam wieder dem ersten Akt und der „Jyllands-Posten” mit ihrer Kleinkinder-Ausländerfeindlichkeit.
Dieser Zeitung ist es niemals in erster Linie um Meinungsfreiheit gegangen sondern nur um die Steigerung der Auflage. Wenn sie sich damals auf Meinungsfreiheit berufen hat, dann nur um einer Schlagzeile wegen, wenn sie es heute tut dann weil sie dankbar auf den immer schneller werdenden Zug aufspringt. Schließlich, was ist Meinungsfreiheit – nicht nur ein Recht alles zu sagen was man will sondern auch die Verpflichtung, diese Freiheit verantwortlich zu nutzen. Meinungsfreiheit ist kein Mittel um materielle oder politische Ziele zu erreichen und wir sollten Meinungsfreiheit in diesem Fall genauso wenig instrumentalisieren wie es Syrien, Saudi-Arabien und der Libanon mit der Religion tun. Und es würde die Situation sehr entschärfen: wenn man das weltanschauliche Feuer löscht, bleibt in der Asche nur journalistische Arroganz und Kurzsichtigkeit und politische Machtbesessenheit. Und damit können wir doch alle umgehen, oder?
teildesganzen - 7. Feb, 08:46
Allein reisen, Konversation mit Fremden im Zug, kurze Erwähnung des Reisegrundes und des Arbeitgebers. Der Gedanke, dass es ungewöhnlich für jemanden ist, der ansonsten an seinem Schreibtisch sitzt und sich im kleinen Radius der Dienststelle bewegt. Ist der Radius wirklich größer, wenn man eine Dienstreise unternimmt – nicht gedanklich, nur räumlich. Man tut Ähnliches in anderer Umgebung. Dennoch, für kurze Zeit Aufnahme in den Kreis der Dienstreisenden mit ihren Taschen und dem Büro-Outfit. Minutengenauer Zeitplan, die Ankunft auf dem fremden Bahnhof, die Suche nach der richtigen S-Bahn, Orientierung in der fremden Stadt, das Seminar hat eigentlich schon begonnen. Begleitung über das Gelände, kurze Erklärungen des Pförtners zu den Gebäuden. Das Besondere an der Situation beginnt nach dem Seminar, das Einchecken ins Hotel, das Einzelzimmer, die zeitliche Verfügung, die örtliche Verfügung, der seltsame kleine Moment Freiheit, das Gefühl völlig losgelöst zu sein, eine Stadt ganz für sich entdecken zu können. Ich gehe durch die Straßen, es wird Abend, der obligatorische Besuch der Sehenswürdigkeit, genauso obligatorisch die Fußgängerzone und die kleinen Einkaufszentren. Was in Erinnerung bleiben wird, ist vielleicht eher der Weg zurück, mit dem Mp3-Player, es ist bereits dunkel, wenig Leute im Wohngebiet vor der Innenstadt. Wie verbringt man einen Abend im Hotel auf einer Dienstreise? Man kauft sich eine große Tüte Chips im Discounter, legt sich in Unterwäsche ins Bett und sieht fern. Die räumliche Entfernung löst von jeder Verpflichtung, etwas sinnvolles zu tun – man hat Zeit totzuschlagen, und das ist wunderbar.

teildesganzen - 21. Jan, 19:17
und verdammt noch mal es war ein gutes Jahr! Für mich jedenfalls, wenn auch nicht unbedingt für den Rest der Menschheit, aber Subjektivität gehört nun mal zu den Jahresrückblicken unbedingt dazu. Wenn man momentan die Zeitung liest oder die üblichen Jahresrückblicke im Fernsehen sieht, fragt man sich sowieso immer, ob man das letzte Jahr mal wieder auf dem Mars verbracht hat. Vielleicht frage auch nur ich mich das, weil ich zu selektiv Zeitung lese.
Also, es hat sich viel verändert, und zwar nur zum guten oder zumindest interessanten: neue Wohnung, Magister, neue Arbeit. Gut ist, dass der Freund der alte geblieben ist. Vielleicht ist dieses Jahr ein Wendepunkt, vielleicht geht es jetzt in die zweite Lebenshälfte, was altersmäßig irgendwie passen würde.
Trotz aller externen Veränderungen kann ich allerdings nicht behaupten, dass ich mich intern verändert hätte, was zum einen schade ist, aber anscheinend auch immer schwieriger wird, vielleicht aber auch niemals möglich war. Zumindest sollte ich ein besserer Mensch werden, aber was heisst das? Sich mehr für andere interessieren, den engen Kreis um das Ego herum verlassen, ... . Andere Dinge endlich wichtiger nehmen, als sich selbst.
Wer das auch immer liest und auch an die die es nicht lesen und an die ich dafür denke, ich wünsche allen ein gutes neues Jahr!
teildesganzen - 31. Dez, 15:19
auf einer Dienstreise, das erste Mal, dass ich so richtig weit wegreisen durfte. Dementsprechend habe ich es eher als Privatvergnügen, denn als Dienstreise empfunden und mich entsprechend gerne abgeseilt, zumal wir in der Nähe der Friedrichstrasse gewohnt haben, in einem sehr hübschen Hotel der NH-Kette. Trotzdem ist erwähnenswert, dass ich zum ersten Mal einen Fuß in ein Ministerium gesetzt habe, zu dem ich mit meinem Dienstausweis Zutritt hatte, was ich irgendwie bemerkenswert fand. Irgendwie hat die neue Stelle was, gleichzeitig wird mich aber auch in nächster Zukunft eine Menge Arbeit erwarten, was mich in Konflikt mit meinem eigentlichen Ziel, der Doktorarbeit, bringt. Also lassen wir es mal langsam angehen.
teildesganzen - 20. Nov, 19:24
Peter Bieri im Rheinischen Industriemuseum in Euskirchen-Kuchenheim, manchmal verirren sich tatsächlich Philosophen nach Euskirchen, der Stadt der Zuckerrübe und des Diät-Pillen-Skandals. Peter Bieri, Herausgeber wichtiger Compilations zur Analytischen Philosophie und seit neuestem auch Romanautor, sprach in der skurillen location der Fabrikhalle des Museums über den Freiheitsbegriff. Der Vortrag war massenkompatibel, sehr gut strukturiert und verständlich, gespickt mit Hinweisen darauf, was Philosophie ist, und vor allem, was sie nicht ist. Seine Systematik: erst die Assoziationen mit dem Begriff Freiheit darstellen, das Begriffsnetzwerk vorstellen: Handlungsbegriff – Freiheit – Entscheidung/Wahl – Wille – Offene Zukunft- Verantwortung – moralische Bewertung. Nach der Betonung, dass diese Begriffe unauflöslich miteinander verbunden sind, folgt die Begriffsklärung: Handlungsfreiheit und Willensfreiheit sind etwas unterschiedliches, ersteres wird durch letzteres erklärt. Weiterführend dahin, was (Willens-)Freiheit ist, erst die Antithese: Freiheit ist nicht die Abwesenheit von Vorbedingungen. Negation dieser abzulehnenden These durch eine reductio ad absurdum: die Folgen dieser Annahme sind unsinnig, also ist es auch die Annahme selbst. Die Folgen wären: bedingungsloser Wille ist niemandes Wille und unbestimmt, Unbelehrbarkeit des Willens, Unkontrollierbarkeit des Willens. These oder Vorschlag, wie (Willens-)Freiheit stattdessen verstanden werden kann – als Freiheit unter Bedingungen, als bedingte Freiheit, die in eine Lebensgeschichte/Vorgeschichte integriert ist. Dies beinhaltet: Plastitzität des Willens (Übereinstimmung mit einem Urteil, was richtig oder falsch ist), Verstehbarkeit des Willens (Wissen, warum man etwas will), Integriertheit des Willens (Akzeptanz des Willens). Überprüfung der These anhand Gegenüberstellung mit den assoziierten Begriffen der offenen Zukunft und der Verantwortung. In diesem Zusammenhang wird auch der Begriff der Sanktion beleuchtet: Sanktionen bedeuten nicht Abschreckung, was eine unzulässige Instrumentalisierung des Schuldigen darstellt, sondern muss als Abgrenzung zwischen und Verteidigung von Lebensformen verstanden werden.
Didaktisch und formal ausgezeichnet, wenn auch lustigerweise die Anwesenden (Rotarier, ein Philosophiekurs samt Lehrer, und interessierte Bürger, der Raum war vollgepackt) sich zuerst an den Formalia aufgehangen haben - heiss diskutiert wurde die reductio ad absurdum – ist die These inhaltlich leicht kontrovers, was bei einigen auch durchgesickert zu sein scheint. Es ist ja nicht die Bedingtheit der Neurobiologen, die hier behauptet ist, die auf eine naturgesetzliche Notwendigkeit hinausläuft, es ist auch nicht die normative Bedingtheit Kants, sondern es ist eine individuell-historische Bedingtheit, so wie ich das verstanden habe. Es bleibt die Frage, ob man nicht das Problem der Willensfreiheit mit dem der Urteilsfreiheit, oder Urteilsfähigkeit, eintauscht, denn um die Determination aus der Lebensgeschichte heraus zu vermeiden, ist der Begriff des Urteils notwendig, den Bieri ja auch in seinem Punkt der Plastizität anspricht. Eventuell wird Willens- und Urteilsfreiheit hier in den Dualismus Individuum und Gesellschaft hineingedacht, was ja auch in der seltsamen Konsequenz der „Verteidigung von Lebensformen“ angesprochen wird. Freiheit oder Willensfreiheit entstünde dann im Raum der Kontroverse wessen Urteil richtig ist, Individuum oder Gesellschaft, wessen Lebensform sich durchsetzen darf, die individuelle oder die in der Gesellschaft anerkannte (was ein Hörer aufgegriffen hat, als er nach dem Normalitätsbegriff fragte, den Bieris These erfordert). Das ist aber nicht so richtig deutlich geworden. Auch nicht, ob dann der Begriff des Willens überhaupt obsolet wird.
teildesganzen - 27. Sep, 18:58
Metaphysik? Es ist auf einmal so weit weg, nach dem Sinn von Sein zu fragen, es scheint auf einmal so leer über die Identität von Denken und Sein nachzudenken, über den Grund des Denkens, über das Eine, das Nichts ist. Über den Unterschied von Sein und Seiendem. Ist das, was für die Philosophie einmal erste Wissenschaft war, auch wenn das schon lange her ist, überhaupt noch relevant für die Philosophie? Gibt es Leute, die heute noch Metaphysik machen, oder ist Ontologie in den 70ern in der Philosophiegeschichte verschwunden? Momentan kommt es mir irgendwie obskur vor, Fragestellungen nach dem Sinn von Sein rücken fast in die Nähe von Hermetik - andererseits war es lebendiger Ausdruck für die Arroganz des Faches Philosophie, solche Fragen zu stellen, diese Thematik zu berühren, die jenseits aller Praktik liegt, jenseits jeden Rückbezuges auf das Leben - schließlich ist es aber auch Grundlage des Philosophierens, vielleicht Ausgangspunkt für Philosphie überhaupt. Wie soll man im Zeitalter der Analytischen Philosphie mit Metaphysik/Ontologie (ich verwende diese beiden Ausdrücke jetzt mal zusammen, auch wenn man nach Nietzsche und Heidegger den Begriff Metaphysik eigentlich nicht mehr verwenden darf) umgehen? Soll man es als Aberration behandeln, oder im Rahmen der Philosophiegeschichte lernen, oder sollte man das Thema wieder aufgreifen, nur von einem neuen Zugang aus? Letztlich bleiben doch die Themen der Philosophie immer gleich, nur die Zugänge ändern sich. Aber Ontologie geht im Ausgangspunkt von der Analytischen Philosophie nicht, jedenfalls dann, wenn man Analytische Philosophie auf Sprachphilosophie reduziert. Der Grund des Seins ist nicht-sprachlich, nicht-semantisch, nicht ausdrückbar. Aber Analytische Philosophie versteht sich ja nicht nur als Sprachanalyse, sondern auch als eine bestimmte Art, mit philosophischen Themen umzugehen: als der Versuch, begriffliche Klarheit herzustellen und argumentative Zusammenhänge darzustellen, unter der Annahme, dass Rationalität und Argumentation nicht historisch relativ sind. Analytische Philosophie versteht Philosophie als Behandlung von Sachfragen, nicht als Deutung oder Vergleich. Wenn das Ziel der AP die Klärung von philosophischen Sach-Problemen ist, kann es sicherlich eine analytische Form der Metaphysik geben.
teildesganzen - 25. Sep, 19:09
Es ist Samstag und wir entschließen uns, auch ein paar Live-Eindrücke vom WJT zu bekommen. Auf der Fahrt zum Hauptbahnhof sitzen ein paar Pilger im Abteil, viele davon Deutsche, die z.T. die gleichen dummen Witze reißen wie die spezies des 17jährigen Gymnasisasten das nun mal so tut, was bedeutet, dass in betont provozierender Art tabus aufgegriffen werden, die schon lange keine mehr sind, begleitet von lustigen Aktionen, die man als gemeingefährlich klassifiziert, wenn man die 30 überschritten hat. Man versucht sich vorzustellen, dass Dieselben mit ergriffenden Gesichtern, und vor allem schweigend, den allgemeinen Segen des Papstes in Empfang nehmen und stellt fest, das dazu die eigene Fantasie nicht ausreicht. An der Haltestelle Erftstadt ist es ruhig, eine Traube Pilger wartet auf die Shuttle Busse, die meisten sind wohl schon auf dem Marienfeld. Wir erreichen den HBF mit nur mininaler Verspätung. Pilger mit Fahnen laufen in einer ordentlichen Schlange an uns vorbei, ansonsten ist der Bahnhof dem Umständen entsprechend leer, nur die Anwesenheit der Polizei und die Absperrungen vor dem Eingang lassen auf das Chaos des WJT schließen.

Auf der Domplatte endlich Pilger, aber auch nicht so viel mehr, als sonst japanische Touristen, mit dem Unterschied, dass sich die Pilger nicht rücklings auf den Boden legen, um auch noch die Domspitze aufs Foto zu bekommen, und die Gesänge natürlich. Durch die Hohe Straße zieht eine gut organsierte Masse polnischer Pilger, gut zu erkennen an den einheitlichen blauen T-Shirts, ausgestattet mit tragbaren Lautsprechern, singend Richtung Bahnhof. Danach wird es fast pilgerlos, nur noch vereinzelt sieht man individuell Pilgernde mit dem blauen Schlüsselanhänger.

Ab dem Kaufhof scheint die Stadt wieder den Kölnern zu gehören. Es wird eingekauft, statt gesungen, und alles in allem wird es ab hier ein ganz normaler Samstag. Als wir wieder zu hause sind, gucken wir kurz in die Live-Übertragungen im Fernsehen vom Marienfeld, und das war es erst einmal mit dem WJT.

Was zieht die bis-30-jährige Weltbevölkerung zu so einem Ereignis? Ist es der Pabst, den man ungefähr so dringend sehen wollte, wie ich Robert Brandom? Oder das allgemeine Gemeinschaftsgefühl, das in diesem Moment gekittet wird, durch ein Gefühl von Religiosität, wie auch immer das aussehen mag? Gut, es wird schon ein katholisches Gefühl von Religiosität sein - oder doch nicht? Wie wichtig ist die Katholische Kirche für die Teilnehmer? Ich vermute, nur halb so wichtig wie die Integrationsfigur Benedikt und das Gefühl, für kurze Zeit in einer Familie von Geistesgesinnten zu sein. Wie viel Anteil hat ein trotziges Zur-Schau-stellen von religiösen Glauben, die Demonstration des Glaubens in massenhafter Form, die dem modernen Agnostizismus, respektierlich Desinteresse, zeigen will, wie viele es doch sind, für die der Begriff Gott mehr ist, als ein immer noch beliebter Kritikpunkt des Rationalismus?
teildesganzen - 21. Aug, 16:56
Jetzt komme ich doch noch dazu, über die Veranstaltung letzte Woche Mittwoch zu berichten, als Robert Brandom einen Vortrag an der Essener Uni gehalten hat. Der Raum war viel zu klein, und ich war viel zu spät, so dass ich nur noch einen Platz auf der Treppe bekommen habe, was auch irgendwie interessant war, ich musste noch nie in einem Hörsaal wegen Überfüllung auf der Treppe sitzen. Aber gut, der Hörsaal war wirklich klein. Ist Robert Brandom außerhalb der Philosophie bekannt? Keine Ahnung, aber er ist mit Sicherheit einer der aktuellen Philosophen, die wichtig sind, in dem Sinne, dass sie diskussionswürdig und –notwendig sind. Interessant und (meist) angenehm in der Philosphie ist die Tatsache, dass es keine Helden gibt. Jemand, der sich profilliert, wird kein Gegenstand der Bewunderung – sondern ein würdiger Gegner. Demgemäß wurden auch in der Diskussion eher kritische Rückfragen gestellt, die Brandom locker und souverän beantwortete. Er wirkt unaufdringlich, seine Stimme ist eher leise als laut, aber gut verständlich. Er zeigt sich zurückhaltend und höflich, humorvoll, aber meist ernst. Der Vortrag war über Kant, Kantian Lessons, der Versuch einer Interpretation der Merkmale Kants Philosohie, die Brandom für entscheidend hält, und für aktuell. Die Vorlesung ist ganz in der Richtung, die Brandom mit dem Buch Tales of a mighty dead einschlägt, eine Rückbesinnung auf die Tradition, auf die er aufbaut, und die auch Kant und Hegel einschließt. So wird es demnächst ein Hegel-Buch von Brandom geben, und wenn das nur halb so gut ist, wie das von Charles Taylor, dann ist das doch ein Gewinn für die Community.
teildesganzen - 25. Mai, 13:45
Liebes Teildesganzen,
du interessierst dich für deine älteren Beiträge? Du hast Langweile und fragst dich, wie es dir letztes Jahr oder so ergangen ist? Ich erzähl es dir, falls du es vergessen haben solltest: ich leide. Ich habe Magenschmerzen, Herzrasen und Träume von Daniel Dennett (warum auch immer). Die MagA ist immer noch nicht weg, weil ich immer noch daran herumbastele. Ich befürchte allerdings, dass ich mittlerweile keine Verbesserungen mehr vornehme, sondern eher vormals evt. logische Satzfolgen nun wieder auseinanderreisse. Echt, ich habe so etwas befürchtet.
Was machst du gerade? Schreibst du vielleicht eine Doktorarbeit? Dann mache bitte nicht die gleichen Fehler immer wieder!!! Ich kann dir allerdings auch nicht wirklich definieren, was das für Fehler sind. Wie kann man Fehler vermeiden, die man nicht durchblickt hat? Himmel, werde ich denn für immer und ewig ein so chaotischer Schreiber bleiben?
teildesganzen - 8. Mai, 19:09
Momentan habe ich ein ziemlich gutes Verhältnis zur Philosphie, die Hassliebe ist wieder umgeschlagen in Liebe. Schuld daran ist mein Freund, der gedroht hat, mich zu verlassen, wenn ich mich weiter exzessiv in diese Welt zurückziehe, zu der er keinen Zutritt hat (was nicht meine Schuld ist). Eigentlich hat er schön öfter damit gedroht, aber diesmal hatte es eine Art von Ernsthaftigkeit, die mich nachdenklich gemacht hat. Tatsache ist, dass ich ihn nicht verlieren will, aber gleichzeitig muss ich dies Magisterarbeit zu Ende schreiben, ich muss, ich muss, ich muss. Interessant, aber nicht ungewöhnlich, ist, der Effekt, den seine Warnung und die Verhaltensforderungen, die er an mich gestellt hat, auf meine Einstellung zur Philosophie haben. War die Haltung eine ganze Zeitlang von der bereits genannten Hassliebe geprägt, die den Schreibvorgang eher zu einer Art Selbstverstümmelung modifizierte, bringt der Anspruch meines Freundes, mehr Zeit mit ihm zu verbringen, eine neue zarte Annäherung an die Philo mit sich. Plötzlich will ich wieder arbeiten, anstatt mich selbstzerstörerisch dazu zu zwingen, plötzlich macht es wieder Spass, auf einmal bin ich wieder kreativer und logischer. Ich nutze jede Stunde, in der ich allein bin, um zu schreiben, ich arbeite heimlich, irgendwie erinnert es an eine Affäre.
teildesganzen - 5. Mär, 13:00